Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine brechen viele alte Selbstverständlichkeiten wie Sicherheit oder Frieden (in unserer Nähe) weg. Kinder spüren das. Deshalb sollten wir – altersgerecht – mit ihnen darüber reden. Die wichtigste Aufgabe aber ist komplizierter: Wie nehme ich meinem Kind die Angst vor Veränderungen?

Wir hatten doch schon genug Probleme. Zwei Jahre Pandemie haben uns mürbe gemacht, gefühlt sind unsere Gehirnzellen für den Bereich Katastrophenvermeidung komplett ausge- bzw. überlastet. Zu lange mussten Eltern sich mit ständiger Quarantäne rumschlagen, mit geschlossenen Kitas und Schulen und dem nicht-enden-wollenden Verschieben von Kindergeburtstagen, (realen) Treffen mit Freunden, Konzerten, ach, schlichtweg aller Leichtigkeit auf ein völlig undefiniertes „später“. Dazu hat Corona viele Familien nicht nur wirtschaftlich und körperlich, sondern auch psychisch enorm gefordert. Mit der Freiburger Psychologin und Spiegel-Bestseller-Autorin Nina Grimm („Hätte, müsste, sollte: Bedürfnisorientierung im Familienalltag wirklich leben“) habe ich deshalb kürzlich darüber gesprochen, wie wir Konflikte mit unseren Kindern und uns selbst sinnvoll bewältigen – und daran wachsen.
Das war im Januar 2022. Was knapp zwei Monate später kommen würde, ahnten wir da noch nicht: Krieg in Europa. Flüchtende Frauen und Kinder, die ihre Männer in der Ukraine zurücklassen müssen. Die Bilder dazu auf den Titelseiten aller Zeitungen. Auch auf der, die sich mein 8- und 6-Jähriger morgens schnappen. Und Fragen stellen. Viele Fragen. Wie, zum Teufel, erkläre ich meinen Kindern den Krieg?
Wie vermittle ich Ihnen Leid und Unglück, das nicht weit von uns Menschen widerfährt? Wie konfrontiere ich sie altersgerecht mit der Tatsache, dass die Welt nicht immer gut und gerecht ist?
Wie bereiten wir unsere Kinder auf Veränderungen vor?
Wenn ich daran denke, in welcher Welt meine Kinder in den nächsten Jahrzehnten leben werden, kommen mir ein paar Ideen, was ihnen helfen könnte, gewappnet zu sein für Veränderungen. Die Psychologie spricht von Resilienz, wenn wir besonders widerstandsfähig auf herausfordernde Situationen reagieren oder besser als andere mit manchmal schwerwiegenden Problemen klarkommen. Ich denke, die Schlüsselfrage ist daher nicht nur, wie wir mit Kindern über Krieg reden. Sondern: Wie könnten wir Eltern unseren Kindern zu Resilienz zu verhelfen? Wie bringen wir ihnen bei, das Veränderungen handhabbar sind? Drei Überlegungen.
1.Wir haben die Macht und die Kraft, für unser eigenes Leben Entscheidungen zu treffen. Und wir haben Spielraum.
Wir haben vor Kurzem unser Auto abgeschafft. Grundschule und Kita liegen fußläufig ums Eck, einzig zum Kindergarten kann man bei wirklich schlechtem Wetter nicht mit dem Rad fahren. Dann switchen wir zum Carsharing, das seine Autos gegenüber unserer Wohnung parkt. Perfekte Voraussetzungen – und dennoch hatte ich Zweifel. Drei Kinder, kein Auto? Wir leben in einer Kleinstadt, was wenn uns die Decke auf den Kopf fällt oder wir einfach mal Großeinkauf machen wollen? Doch ich stelle schnell fest: Das Leben ohne Auto fühlt sich gut und richtig an (zumindest immer noch!). Was das mit Resilienz zu tun hat? Man kann Entscheidungen treffen, vor denen man noch vor Kurzem riesigen Respekt hatte – und so merken, was alles möglich ist. Der Entschluss, das Auto abzuschaffen, ist eine kleine Antwort auf das große Unbehagen des Klimawandels. Auch wenn sich immer noch Leute darüber lustig machen, so ein Beitrag bringe ja nichts und sei lächerlich, als ob das einen Unterschied mache, pipapo. Ja, es gibt größere Umweltschäden als unser ohnehin wenig genutzes Familienauto. Aber etwas zu entscheiden und umzusetzen finden wir besser, als einfach weiterzumachen.
Den Kindern verkaufen wir es ürigens nicht als „Verzicht“, dass wir kein eigenes Auto mehr haben. Das klänge, als würden wir einer Sache hinterhertrauern, die wir eigentlich gerne besäßen. Die Wahrheit ist: Wir genießen das viele Fahrradfahren und das Erkunden neuer Strecken mit dem Zug (unsere Kinder übrigens auch – genauso wie das gelegentliche und meist top-ausgestattete Carsharing-Auto, das im Vergleich zur alten Familienkarre ein Luxusschlitten ist:)). Und die Wahrheit ist ehrlicherweise auch: Wenn wir wollten, könnten wir uns jederzeit wieder ein eigenes Auto anschaffen. Das Leben (fast) ohne Auto ist also viel mehr eine aktive Entscheidung, die wir gemeinsam tragen. Und Entscheidungen eröffnen neue Wege. Das gilt nicht nur für Familienautos. Jeder findet in seinem Leben Spielraum, Dinge anders zu gestalten – wenn er ein bisschen sucht.
2. Auch negative Gefühle können Energie freisetzen – sie fordern uns zum Handeln auf
„Verzicht“ ist vor allem negativ konnotiert – er bäuchte vielleicht einfach ein neues wording, wie man neudeutsch so schön sagt. Wie wäre es mit Genügsamkeit, Dankbarkeit oder Wertschätzung (von Ressourcen, aber auch von Erlebnissen)? Und genauso, wie wir alte Gewohnheiten hinterfragen können, um Veränderung auf den Weg zu bringen (zum Beispiel nicht mehr mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, sondern das Spritgeld in ein Monatsticket zu investieren), können wir es auch mit unseren Emotionen handhaben. Hinterfragen wir, was wir empfinden und warum. Kein Gefühl schleicht sich ohne Grund ein, jedes hat seine Legitimation. Aber wie Verzicht haben auch Wut, Ärger, Neid oder Trauer kein positives Image.

Dabei brauchen wir diese Emotionen genauso sehr wie Freude oder Mitgefühl. Sie sind ein Ventil. Woher kommt persönliches Wachstum, wenn nicht (auch mal) aus frustrierenden Erfahrungen? Aus einer schlimmen Krise? Oder weil einem erst der Kragen platzen muss, bis man sich wirklich von etwas/jemandem trennt, das, der oder die einem nicht mehr guttut? Indem wir Gefühle auch unseren Kindern gegenüber zulassen (und erklären: „Mich macht es gerade tierisch wütend, dass…“), nehmen wir ihnen ebenfalls Angst vor Veränderung. Denn sie fängt immer mit einem Gefühl an – ob es ein gutes oder nicht so angenehmes ist. Wird es unterdrückt oder (von Eltern) verboten, erstickt der Wandel im Keim.
3. Gefühle zulassen und kommunizieren kann man lernen
Der Krieg, die Trauer und die Bilder, die einen sprachlos zurücklassen (wenn auch im doch immer noch recht bequemen deutschen Alltag) – all das macht Angst, es macht hilflos, man kann daran verzweifeln. Vielleicht hilft auch hier zumindest vorübergehend ein gedankliches Reduzieren auf das Wesentliche, und um gleich eine Alternative zum „Verzicht“ anzuwenden: Dankbarkeit. Uns geht es hier immer noch ziemlich gut. Wir müssen nicht flüchten. Wir haben Spielraum. Wir dürfen Gefühle zeigen und Dinge beim Namen nennen, ohne Angst vor Bestrafung. Diese Basis zu vermitteln, ist ein guter Anfang, wenn es darum geht, mit Kindern über schlimme Dinge zu reden. Für alles weitere, für das Gespräch über das Unfassbare, den Krieg, hat die Psychologin und Familienberaterin Nina Grimm ein paar Tipps aufgeschrieben – für ganz kleine, aber auch für ältere (Schul)Kinder. Und für Mütter und Väter.
Nina Grimm: „Müssen die Karten auf den Tisch? Mit Kindern über Krieg sprechen“
Krieg. Und das vor unserer Haustüre. Sollten wir mit unseren Kindern darüber reden? Und wenn ja: wie? Und wie gehen wir mit ihren und unseren eigenen Ängsten um?
Fakt ist: das Thema IST bereits da.
Kinder sind wie Detektive: sie nehmen ihre Umgebung sehr bewusst wahr und saugen alle Informationen auf. Sie bekommen mit, worüber wir Erwachsenen reden. Sie bekommen mit, wenn wir unter Spannung sind, Wut fühlen. Oder Ärger. Oder Angst. Und das allein wirkt auf unsere Kinder. Für Kinder ist es sehr viel herausfordernder wahrzunehmen, dass etwas anders zu sein
scheint (Mama weint, Papa ist wütend, Spannung ist in der Luft!), aber dennoch alles beim Alten bleibt. Das irritiert. Und das belastet potentiell. Daher: besser die Karten kind- und altersgerecht auf den Tisch. Vor allem, wenn der Krieg
DICH aufwühlt.
Wie kann das gehen?
Bei Kindern unter drei Jahren empfiehlt es sich bei der Schilderung der eigenen Gefühlslage zu bleiben und bei Nachfragen sehr einfache Worte für die Erklärung zu verwenden. Wichtig ist außerdem, ganz klar die Verantwortung bei sich selbst zu lassen, beispielsweise so:
„Gerade ist ein schlimmer Streit und das macht mich traurig. Aber Mama kümmert sich darum. Es ist nicht deine Aufgabe. Für viele Kinder reicht das bereits aus. Das gilt es auch genau so zu akzeptieren. Wir MÜSSEN das Thema nicht auf ihren Bildschirm bringen. Sie DÜRFEN und SOLLTEN in ihrer heilen und sicheren Welt bleiben.
Wenn aber Nachfragen kommen, oder der Krieg gezielt thematisiert wird, sollten wir unbedingt darauf eingehen.
Für Kinder bis etwa 6 Jahre empfiehlt es sich die Sachlage mit einem Beispiel zu beschreiben, auf das das Kind sich beziehen kann. Beispielsweise so:
„Gerade gibt es einen schlimmen Streit. Nur nicht zwischen zwei Menschen, wie zwischen dir und deinem Bruder. Sondern zwischen zwei Ländern. Das heißt: ganz viele Menschen haben gerade gleichzeitig Streit. Und das Schlimme daran ist: der eine Teil will sich gar nicht streiten. Und der andere Teil schlägt ziemlich doll zu. Das ist für alle schlimm. Und macht auch mich traurig und hilflos.“
Kläre möglichst alle Nachfragen deines Kindes. Dabei ist darauf zu achten, dass sie Antworten kurz und knackig sind. Es ist auch ok zu sagen, dass du auf gewisse Dinge gerade selbst keine Antwort hast. Achte darauf, dass deine Sprache ohne bedrohliche Inhalte bleibt. So kann sich das Kind zum einen darauf beziehen entwickelt somit keine unnötige Ängste.
Beispiel:
DONT: Viele Menschen müssen gerade sterben
DO: Viele Menschen haben gerade Angst.
Bei älteren Kindern empfiehlt es sich mit Fragen erst einmal den Wissenstand des Kindes zu erfragen und sich sowohl mit der Sprache als auch mit den Inhalten darauf zu beziehen. Hier empfiehlt es sich auch die Kinder danach zu fragen, was es mit ihnen macht. Wie sie sich damit fühlen. Ob sie noch etwas Näheres wissen möchten. Gegebenfalls kann dann gemeinsam recherchiert oder Aspekte nachgelesen. Hier darf der Fokus schon auf Austausch und Diskussion liegen.
In allen Fällen ist es wichtig: Sich als Eltern authentisch zu zeigen (mit der eigenen Angst, mit dem eigenen Nicht-Wissen) und zeitgleich in der vollen Verantwortung dafür zu stehen. Hierfür dürfen und sollten die eigenen Gefühle gefühlt werden, aber auch wieder losgelassen werden. Hierfür empfiehlt sich für alle Altersgruppen eine „Gefühlskiste“:
Schreibt oder malt eure Gefühle auf. Erzählt euch davon. Schenkt euch ein paar Minuten, in denen das einfach sein darf. Und dann legt es in die Kiste. Und erlaubt es euch, es zu schließen.
So holen wir uns auch ein Gefühl von Machbarkeit zurück, was in der aktuellen Situation für unsere Psyche sehr relevant ist. Hierfür empfehlen sich auch kleine Rituale, wie das Anzünden einer Kerze. Einer Schweigeminute, um es sich im Anschluss auch zu erlauben, das Gespräch gut abzuschließen.
Der Krieg ist da.
Nina Grimm, Psychologin und Familienberaterin in Freiburg
Und das Wichtigste was wir nun tun können, ist für Frieden zu sorgen. Und der beginnt in uns. Und in unserer Familie. Wenn wir es uns erlauben „JA!“ zu sagen. Zu allem was da ist. Ohne es wegzuschieben. Sondern es willkommen zu heißen, und es in unsere Reihen mitaufzunehmen, entsteht Frieden. Im Innen und im Außen.